Mein Tag hat heute erst am Mittag begonnen. Kurz vor eins bin ich noch völlig verschlafen und von einem verqueren Traum verstört (lila Haare, zwei Frauen mit riesen Brillen, Spaß-Uniformen, falscher Wochenmarkt) auf dem Kieler Wochenmarkt zum Kaffee trinken aufgetaucht. Ich habe einen Americano und eine Stunde gebraucht, um wach zu werden und mich auch nennenswert am Gespräch zu beteiligen. Die zweite Gesprächsstunde war ich dann aktiver. Der Wochenmarkt war inzwischen abgebaut und die Kehrmaschinen sind über den Exerzierplatz gelärmt.
Unmotiviert Cajon üben
Nachmittags habe ich meine Cajon ins Wohnzimmer gestellt. Ich hatte vergessen, dass ich eine Cajon besitze. Nachdem ich vorgestern meinen Arbeitsplatz aufgeräumt hatte, habe ich bemerkt, dass die Stapelablage eigentlich ein Musikinstrument ist. Nach fünf Minuten unmotiviert auf der Cajon rumtrommeln, hab ich’s für heute gelassen. Ich hatte ein tolles Anleitungsvideo von Heidi Joubert gesehen. Die Frau finde ich klasse. Aber ich hatte Hemmungen, ungebremst auf meiner Cajon zu trommeln. Ich werde erst mal mit meinen Nachbarn über zukünftige Übungszeiten sprechen.
Kein Einlinien-Porträt malen
Eigentlich hatte ich vor, heute ein Einlinien-Porträt zu malen. Das kann ich nicht, aber Andrea Gunkler bietet einen tollen kostenfreien Minikurs zum Einlinien-Portät-Malen an. Anstatt zu malen, habe ich auf Twitter und auf Instagram gelesen. Manchmal finde ich dort inspirierende Dinge. Heute nicht. Heute wollte ich mich nur zerstreuen. Ein Einlinien-Porträt male ich aber bestimmt mal an einem anderen Tag.
„Müdigkeitsgesellschaft“ lesen
Als ich Twitter und Instagram für mich durchgespielt hatte, habe ich mir tatsächlich ein kleines, ungelesenes Buch aus meinem appetitlichen Fensterbankbücherregal ausgesucht und angefangen zu gelesen. Nicht, dass ich nicht noch ein paar andere angefangen Bücher rumliegen habe. Aber heute musste es „Müdigkeitsgesellschaft“ von Byung-Chul Han sein.
Der Traumvogel
Im Kapitel „Die tiefe Langeweile“ erklärt Han, dass Walter Benjamin die tiefe Langeweile einen „Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet“ (Zitat Walter Benjamin nach Han „Müdgkeitsgesellschaft“ S. 28) nennt. Diese „Langeweile [sic], die nicht unwichtig wäre für einen kreativen Prozess“ (Han „Müdgkeitsgesellschaft“ S. 28). Die Langeweile als Traumvogel zu bezeichnen, gefällt mir sehr gut.
Der Traumvogel war unbemerkt da
Der Traumvogel hat mich heute nicht besucht, trotzdem ist so ein verquatschter, vertrödelter und verdaddelter Tag gut für meine Kreativität. Ganz unbenommen von der Tatsache, dass ein Pausentag eine gute Idee ist. Während ich hier schreibe, denke ich über mein Twitter-Scrollen heute nach. Irgendwie habe ich mich dabei durchaus gelangweilt. War der Traumvogel also doch da und ich habe es nicht bemerkt.
Langeweile ungleich Nichtstun
Ich setze Langeweile irgendwie mit Nichtstun gleich. Aber das stimmt nicht. Ich langweile mich bei der Hausarbeit, wenn ich dabei nichts Interessantes zum Nachdenken habe. Beim Ausräumen der Geschirrspülmaschine hatte ich öfter gute Ideen. Aber das ist dann wieder keine Langeweile. Zumindest keine tiefe Langeweile.
Chefarztsache Langeweile
Während meiner depressiven Episode hat der Chefarzt der Psychiatrie in einer Visite mit mir einmal über Langeweile gesprochen. Er hat mir von einer Patientin erzählt, die sich gelangweilt hat in der Klinik und sich darüber gefreut hat. Ich habe das sofort verstanden. Zu der Zeit hatte ich auch schon wieder mini kurze Momente der Langeweile erlebt. Augenblicke der Langeweile erlebe ich wieder öfter.
Der Traumvogel der Langeweile und ich in der Zukunft
Nach diesem Blogbeitrag, der Erinnerung, dass mir Langeweile einige Zeit nicht möglich war und dem Bild von der Langeweile als brütenden Traumvogel werde ich in Zukunft versuchen, Langeweile wieder mehr wertzuschätzen und vor allem Raum und Möglichkeit für Langeweile zu schaffen.
2 Antworter auf Stundenlang Kaffee trinken oder den Traumvogel der Langeweile treffen