In diesem Schreibtagebuch nehme ich dich mit in eine erfüllte Schreibwoche: Ich freewrite mich durch writers’tricks, überrasche mich selber, werde persönlich, umgehe meine innere Kontrollinstanz, schreibe Haikus und verabschiede mich zufrieden und glücklich zum Notizbücherkaufen.
Montag 6. April 2020 – Kennenlernen
Vor dem Kurs (writers’tricks am Wiener writers’studio) gehe ich einmal um den Häuserblock, lackiere mir die Fingernägel und mache (mit noch nicht trockenem Nagellack!) ein Instagram-Selfie mit meinen Notizbüchern. Dann starte ich Zoom und los geht’s!
Kennenlernen ist das Thema des Montags: uns, Freewriting und Clustern. Michaela Muschitz, unsere Kursleiterin (Coachin und Krimiautorin), stellt sich und den Seminarfahrplan vor. In wunderbar österreichischem Tonfall. Dann stellen wir fünf Teilnehmerinnen uns vor. Alle sind schreiberfahren und Freewriting kennen wir alle. Ich lerne in der Woche, wieviel Potenzial wirklich im Freewriting steckt. Und staube einige Tipps von Michaela ab, wie ich Freewriting fürs Krimischreiben einsetzen kann. Heute starten wir mit einem Freewriting übers Schreiben. Ich überrasche mich mit dem Satz: „Schreiben ist dann toll, wenn ich mich selber überrasche.“
Dann besprechen und üben wir Clustern. Clustern stehe ich skeptisch gegenüber. Aber das wird sich morgen krass ändern. Erstmal ist Mittag und Pause. Und noch mehr Pause. Und noch viel mehr Pause.
Dienstag 7. April 2020 – Es wird persönlich
Der Vormittag startet mit einer Runde um den Häuserblock und einem Insta-Selfie. Im Kurs besprechen wir, was ein Personal Essay ist. Wir clustern (oh, einen Krimi kann frau auch clustern) und dann steigen wir mit Schreibvorübungen in unser eigenes Personal Essay ein.
Zitate aus meinem Freewriting zu meinem Personal Essay: „Ich stehe in meiner Lebensmitte, ziehe Bilanz und überlege und fühle, wie ich die zweite Hälfte oder auch nur noch das letzte Drittel gestalten werde. Kontrolle ist eine Illusion, doch trotzdem gibt es Gestaltungsmöglichkeiten und Räume. Ich bin eine kompetente und mutige Frau, die sich ihr Leben anschaut und Schätze heben wird. Mit diesen Schätzen werde ich weiter durch mein Leben gehen. … Ich will mich nicht mehr so übermenschlich anstrengen, um Dinge zu tun und Ziele zu erreichen, die gar nicht meine sind. Nicht mehr so krass hinfallen.“ Ich scheue mich noch, über meine depressive Episode im Freewriting zu schreiben. Aber ich fühle, dass das Personal Essay eine Form sein wird, in der ich diese krasse Lebenserfahrung für mich verarbeiten werde.
Am Nachmittag klebe ich 2 x 9 DIN A3 Zettel für große Cluster zusammen. Auf einem clustere ich, was ich zu meinem Heather-Buch schon geschrieben habe. Auf den anderen schreibe ich den Titel meines zweiten Taval-Krimis. Für das Cluster bin ich leider zu müde. Lust hätte ich noch gehabt, aber keine Kraft mehr und die Kurshausaufgaben will ich auch noch machen.
Dienstagabend bin ich so müde, dass ich beim Zähneputzen fast anfange zu weinen.
Mittwoch 8. April 2020 – Die innere Kontrollinstanz umgehen
Noch im Bett schreibe ich Morgenseiten. Ein Teil unserer Hausaufgabe war, einen Text von Julia Cameron über Morgenseiten zu lesen. Das hat mich und auch die anderen Kursteilnehmerinnen inspiriert, wieder Morgenseiten zu schreiben. Die weitere Routine vor dem Kurs: um den Block gehen und ein Insta-Selfie machen.
Wir sprechen über Schreibinfrastruktur, also wo, wann, womit schreiben. Mir fällt auf, dass mein Vorrat an Notizbüchern fahrlässig klein ist, dass ich einen eigenen Bleistift herstellen lassen wollte und dass Cafés und Züge, zwei meiner liebsten Schreibplätze, wegen Corona nicht zugänglich sind. Also muss ich mich von anderen Plätzen finden lassen. Mein Esstisch im Wohnzimmer hat sich in den letzten Tagen als guter Platz gemausert.
Als wir uns in zwei Gruppen über Schreibbelohnungen austauschen sollen, schmeißt Zoom mich raus und ich komme auch nicht wieder rein. Mir macht das zunächst nichts, denn ich bin ziemlich erschöpft und so ist meine Pause einfach länger. Aber auch nach der Pause lässt Zoom mich nicht mehr mitspielen. Ich telefoniere mit Michaela und sie erklärt mir schnell die nächste Aufgabe: Ein Cluster machen und den Rohtext fürs Personal Essay schreiben. Die anderen hatten 17 Minuten, du hast noch 13 Minuten.
Durch den Zeitdruck umgehe ich meine innere Kontrollinstanz und wähle mir ein Thema aus meiner Themenliste, dass ich mir bei klarem Verstand nicht ausgesucht hätte. Ich mache ratzfatz ein Cluster dazu und schreibe meinen Rohtext. Auf den letzten Drücker komme ich mit einem anderen Zoom-Account wieder in den Kurs, erzähle schnell, wie es mir ergangen ist und dann bekommen wir die Hausaufgabe: Rohtext abtippen und Michaela schicken.
Mittwoch Nachmittag – Instagram Text mit Freewriting
Für Instagram mache ich oft Spaziergangsfotos mit Fundstücken oder Stadtansichten. Die Fotos entstehen immer aus einem Gefühl. Ich behaupte, ich sehe meine Fotos nicht, sondern ich fühle sie. Dann habe ich versucht mit meinem Verstand am Handy einen Text zum Bild zu schreiben. Meist endete das in dem Einworttext: Spaziergangsfundstück. Mittwoch Nachmittag habe ich mich mit Bild, Notizbuch und Stift aufs Sofa gesetzt, den Handy-Timer auf fünf Minuten gestellt und los geschrieben. Das ist das Ergebnis:
„Offenstehende Haustüren üben eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Ich muss dann in den Hausflur schauen. Ich betrete ihn aber nicht. Jedenfalls nicht mit den Füßen, sondern nur mit den Augen ?. Ganz nach der alten Kindheitsregel: nur angucken, nicht anfassen.
Wenn ich dann in den Hausflur schaue, freue ich mich und bin gleichzeitig enttäuscht, weil es nur ein ganz normaler Hausflur ist. Ich weiß auch nicht, was meine kindliche Neugierde oder Entdeckerlust erwartet. Auf keinen Fall einen schnöden Hausflur. Das ist schon mal klar.
Allerdings ist dieser gar nicht so schnöde. In den Treppenstufen gibt es interessante Löcher in Dreiergruppen. Und die Fußbodenfliesen haben ein schönes Muster.
Findest du offenstehende Haustüren auch so verlockend?“
Donnerstag 9. April 2020 – Feedback geben und bekommen
Morgenseiten, Runde um den Block und Insta-Selfie. Meine kleine Morgenroutine vor dem Kurs besänftigt meine Aufregung nicht. Heute bekommen wir Feedback zu unserem Rohtext. Ich bin aufgeregt, weil ein Teil von mir meinen Text angeberisch findet.
Als Einstimmung machen wir, mit einem rohen Ei in der Hand, ein Freewriting zu Feedback. Damit machen wir uns bewusst, dass wir über Rohtexte sprechen werden. Dann bekommen wir Feedbackregeln für freundliches und konstruktives Feedback. Michaela fragt nach der Reihenfolge. Ich werde als Letzte dran sein. Dann lesen wir den ersten Text. Vielmehr die Schreiberin liest ihren Text vor, wir lesen am Bildschirm mit. Feedback. Nächster Text. Feedback. Nächster Text. Feedback. Pause. Ich bin schon wieder sehr erschöpft. Nächster Text. Feedback. Mein Text. Feedback. Ehrlich sei mein Text, sagen die anderen mir. Und ich bekomme genau wie die anderen vor mir, tolles konstruktives Feedback. Ich gehe sehr müde und sehr glücklich in den Nachmittag.
Freitag 10. April 2020 – Haikus, Textüberarbeitung und Abschied
Morgenseiten und Insta-Selfie. Die Runde um den Block musste ausfallen, sonst wäre ich zu spät zum letzten Kurstag gekommen. Leider ist schon der letzte Kurstag, zum Glück ist schon der letzte Kurstag. Ich kann nicht mehr.
Heute ist Textüberarbeitung unser Thema. Als Einstimmung und als Beispiel für die am meisten verdichtete Textsorte schreiben wir Haikus. Wir beginnen mit Freewriting und daraus entstehen unsere Haikus. Dies sind meine zwei, ganz klar vom Leben an der Küste inspiriert:
Lehre aus Kindheit
Halte Möwendistanz ein
sonst Pommesdiebstahl
Aus einem Nest
liebliches Möwenkreischen
mein Morgenwecker
Wir bekommen viel Input und Tipps zum Texteüberabeiten, vor allem den Hinweis unsere Texte nicht tot zu überarbeiten. Dann ist unsere gemeinsame Zeit auch schon vorbei. Ich bin erfüllt, müde und zufrieden.
Fazit und wie geht’s weiter?
Die Woche war toll und ich freue mich sehr, dass ich dabei war. Ich war weniger erschöpft als in meiner Schreibwoche aus dem Schreibtagebuch (4). Dennoch war dieser Kurs gefühlt gesundheitlich einen Monat zu früh für mich.
Aus dem Kurs nehme ich mit, dass Freewriting ein Mastertool ist, dass Clustern mir beim Krimischreiben helfen wird und dass freundliches Feedback beflügelt. Und super viel Spaß gemacht hat die Woche auch.
Die Struktur von außen und die tollen Frauen haben es mir leicht gemacht, jeden Tag am Schreibtisch zu erscheinen. Ich habe den starken Wunsch wieder selber Schreiben in der Gruppe anzubieten, aber dafür muss ich erstmal mehr Kraft sammeln.
Aber Freewriting geht. Und Morgenseiten auch. Jeden Morgen. Wieder im Bett. Wieder mit Freude.
Und jetzt muss ich neue Notizbücher bestellen.
2 Antworter auf Schreibtagebuch (5) oder eine Woche Freewriting virtuell am Wiener writers’studio