„Was tust du, bloß weil es vernünftig ist?“ fragt Claudia in Frage 9 ihrer 60-Fragen-Challenge. Meistens gehe ich spazieren, weil ich spazieren gehen mag. Aber an manchen Tagen gehe ich nur spazieren, weil es vernünftig ist, weil es gesund ist, weil es selbstfürsorglich ist.
Damit stehe ich dann jetzt vor der Frage, ob alles, was ich aus Selbstfürsorge oder gesundheitlichen Gründen tue, vernünftig ist. Meistens liegt der Ursprung dieses Tuns in der Vernunft, weil ich Selbstfürsorge erst als Erwachsene gelernt habe. Vielleicht verwechsel ich Vernunft jetzt auch mit Verstand. Mein Verstand hilft mir oft vernünftige Dinge zu tun.
Mein Verstand sagt mir zum Beispiel, dass es vernünftig ist, wenn ich meine Steuererklärung abgebe. Denn wenn ich die Steuererklärung nicht abgebe, dann kostet das Geld und irgendwann käme ich in Beugehaft. Und darauf habe ich keine Lust. Also sagt der Verstand und die Vernunft, mach deine Steuererklärung.
Gut, beim Thema Steuererklärung schaffe ich es regelmäßig, die Stimme der Vernunft bis November zu überhören und erst dann langsam in eine Handlung zu kommen. Bei der Steuererklärung bin ich super gut im Prokrastinieren.
Das bedeutet jetzt für mich, dass Prokrastineren daraus resultiert, dass mein Verstand, meine Vernunft und meine Lust unterschiedliche Dinge tun möchten. Bei der Steuererklärung gewinnt die Lust in den meisten Monaten. Und letzen Endes siegt die Vernunft.
Während ich das schreibe, merke ich, dass vernünftig sein bei mir irgendwie auch negativ konnotiert ist und ich in einer Verteidigungshaltung dem Vernünftigsein gegenüber bin. „Jetzt sei doch mal vernünftig“ war ein beliebter Spruch meiner Eltern. Aber auch der Widerspruch „Sei doch nicht immer so vernünftig.“ Auf jeden Fall war vernünftig sein für mich etwas Negatives. Egal ob ich nun vernünftig sein sollte oder nicht sein sollte.
Das finde ich aber irgendwie gar nicht mehr. Jedenfalls nicht, wenn ich die Vernunft einsetze, um mir etwas Gutes zu tun. Zur Zeit verzichte ich auf Kaffee, weil der mir gerade nicht gut tut. Finde ich das blöd? Aber ja. Finde ich das zu vernünftig? Aber ja. Verzichte ich trotzdem? Aber ja. Denn mir geht es grad besser ohne und irgendwann kann ich auch wieder Kaffee trinken.
Heute bin ich nur zum Spazieren gehen raus gegangen, weil ich mir vorgenommen habe, jeden Tag 5 km zu gehen. Ich hatte heute keine Lust, auch wenn die 5 km mir gut tun. Aber meine Vernunft hat mich nach draußen gebracht. Und dann war es nach der ersten mühsamen Runde um den Schrevenpark schön. Irgendwann habe ich den Spaziergang sogar genossen. Ich habe mich entspannt und über die kleinen blauen Himmel-Flecken gefreut, die zwischen den Wolken zu sehen waren.
Vernünftig sein ist für mich in Ordnung, wenn ich selbst entscheide, etwas zu tun, weil es vernünftig ist. Oder wenn mir meine Vernunft hilft, selbst gesetzte Ziele zu erreichen. Oder wenn mir meine Vernunft sagt, mach mal ein bisschen langsamer, denn du überpest dich gerade und das ist nicht gut für dich.
Da bin ich wieder bei der Frage, ob mein Verstand und meine Vernunft identisch sind. Nein, denn mein Verstand schlägt mir auch mal unvernünftige Dinge vor. Mein Verstand würde Ziele auf biegen und brechen durchziehen. Da sagt dann aber zum Glück meine Vernunft: Hey, das ist unvernünftig, wir brauchen eine Pause. Heute bleiben wir auf dem Sofa, gucken den ganzen Tag Serien und bestellen uns eine Pizza.