Ich komme von dem Teil der Nordseeküste an dem es keine Sandstrände sondern Deiche gibt. Deswegen bin ich in meiner Kindheit und Jugend auch nicht an den Strand gegangen, sondern an den Deich. Im Grün des Deiches wuchsen neben Disteln und Schafskötteln zahlreiche Gänseblümchen.
Auch im Rasen im Garten meiner Eltern wuchsen Gänseblümchen. Genauer: zwei Servierplatten große Placken Gänseblümchen. Sie durften in dem wöchentlich akkurat gemähten Rasen stehenbleiben, ganz im Gegensatz zum Löwenzahn oder den Hundeblumen, wie mein Vater sie nannte.
Hundeblumen wurden gnadenlos ausgestochen. Mein Vater lief mit einem Messer und einem Eimer über den Rasen und verkündete am Abendbrottisch empört und stolz zugleich: „Ich habe wieder einen ganzen Eimer voll Hundeblumen ausgestochen.“
Dieses Schicksal blieb den Gänseblümchen erspart. Vielleicht, weil meine Eltern sie mochten. Vielleicht, weil sie in ihrem begrenztem Areal blieben und nicht drohten, den kompletten Rasen zu übernehmen.
In meinem Rasen blüht der Löwenzahn leuchtend gelb und bildet regelmäßig schöne Pusteblumen aus. Auch wenn ich nicht versuche, ihm durch Ausstechen den Garaus zu machen, hat er weder meinen Rasen noch meine Beete übernommen. Dafür habe ich keine Gänseblümchen in meinem Garten.
Diesen Frühling habe ich versucht, Gänseblümchen auszusäen. Der Maulwurf hatte zwei schöne Haufen auf meinem Rasen aufgeworfen, die der Regen und ich mit dem Rasenmäher eingeebnet haben. Dort habe ich die Gänseblümchen ausgesät. Und gewartet. Und gewartet. Und gewartet. Aber nichts ist passiert. Keine Gänseblümchen. Ein Freund hat mir erzählt, dass in seinem Garten die Ameisen seine Blumensaat abtransportiert hätten. Und die Vögel sowieso.
Unter dem Zaun eines unfreundlichen Gartennachbarn in meiner Schrebergartenkolonie wachsen die Gänseblümchen total üppig und lächeln mir mit ihren weißen gefiederten Blütenblättchen und ihrem kleinen gelben Gesicht freundlich zu. Ich werde einige von ihnen ausgraben, wenn gerade keiner hinsieht und sie bei mir im Garten einpflanzen, nehme ich mir vor. Und vergesse das dann irgendwie wieder.
„Daisy, daisy, give me your answer do.“ Diese Liedzeile habe ich gut im Gedächtnis behalten. Gehört habe ich sie in dem Film „Sommer in Lesmona“. Das war ein Liebesfilm, den ich als Jugendliche sehr gerne gesehen habe. Vielleicht, weil er in Norddeutschland spielt. Vielleicht, weil englische Sätze und ein bisschen London drin vorkommen und ich gerade meine Liebe zur englischen Sprache entdeckt hatte.
Gänseblümchen, Gänseblümchen, gibt mir deine Antwort, magst du Vanillesoße? Präziser müsste ich jetzt nach Vanilljesose fragen. So wurde das in meiner Familie ausgeprochen. Dass es Vanille ohne j heißt, habe ich mittlerweile gelernt. Die norddeutsche Aussprache Sose habe ich bei behalten.
Bei uns Zuhause gab es Vanilljesose immer zu Schokopudding. Beides von Dr. Oettker und ohne kochen. Auf der Schachtel stand auch nicht Schokopudding sondern Paradiescreme. Wenn es Schokopudding zum Nachtisch gab, standen während des Mittagessens schon drei kleine Schüsseln mit der Köstlichkeit am Tischende. Die Vanilljesose wartete neben den Schüsseln in einer kleinen Kristallkaraffe.
Ich habe gerne die Vanilljesose mit dem Pudding verrührt. Dann habe ich versucht den Pudding aus der Schüssel zu trinken. Nein, das war natürlich nicht erlaubt. Ebenso wenig wie mit der Vanilljesose beim Eingießen auf die frisch gebügelte Tischdecke zu kleckern. Gemacht habe ich das trotzdem. Das eine absichtlich, das andere unabsichtlich.