Heute war der dritte Tag, an dem ich in der finnischen Nationalbibliothek geschrieben habe. Ich habe verschiedene Plätze ausprobiert; am liebsten sitze ich in der Rotunde im vierten Stock an einem Tisch oder in einem der Ledersessel, von denen aus ich auf den offenen Teil der Rotunde gucken kann. Vier Stunden war ich heute in der Bibliothek. Ich habe gelesen und geschrieben.
In dieser Bibliothek habe ich Zeit und ich lasse mich treiben. Heute hieß das, dass ich mir ein kurzes Buch aus dem Philosophie-Regal im sechsten Stock genommen und es durchgelesen habe. Dazu habe ich mir Notizen gemacht. Die innere Ruhe, die ich hier in der Bibliothek erlebe, hatte ich während meines Studiums nicht. Ich erinnere mich nur an gehetzte Besuche in der Bibliothek, weil es immer irgendeinen Leistungsdruck gab.
Wenn ich wieder in Kiel bin, möchte ich ausprobieren, ob ich diese Ruhe auch in einer der Kieler Bibliotheken erleben kann. Wenn das klappt, möchte ich mir auch in Kiel regelmäßig einen oder mehrere Bibliothekstage gönnen.
Besonders wohl fühle ich mich in der vierten Etage in der Rotunde. Dort habe ich Seite um Seite in meinem Krimiautorinnen-Journal gefüllt und über mein Selbstverständnis als Autorin reflektiert. Ich muss einfach schreiben. Dann geht es mir gut. Dann schreibe ich mich in die Welt. Durch das Schreiben bringe ich mich als Schreibende selbst hervor.
Dann wandert meine Aufmerksamkeit wieder zur Bibliothek. Den Wunsch, einen fiktionalen Text zu schreiben, der von der Bibliothek inspiriert ist, habe ich immer noch. Der Wunsch führt mich in einen der Ledersessel mit Blick auf die offene Rotunde. Ich schaue mich um, fühle in den Ort hinein und dann nehme ich mein Handy und tippe den Anfangssatz einer Geschichte in die Notizfunktion.
Erfüllt, zufrieden und hungrig gehe ich die Steintreppen ins Erdgeschoss hinunter. Dabei denke ich über die Geschichte nach, deren Anfang sich gerade gezeigt hat. Werde ich die Geschichte in den verbleibenden zwei Bibliothekstagen schreiben? Oder nehme ich die Idee mit nach Hause, schreibe die Geschichte dort und versetze mich damit wieder in die finnische Nationalbibliothek?
Im Erdgeschoss kaufe ich eine Stofftasche mit dem Bibliothekslogo als Andenken. Voller Vertrauen in diese Schreibwoche nehme ich meine Tasche aus dem Schließfach im Garderobenraum und verstaue meine Schreibutensilien in der Gewissheit, dass ich morgen wieder erfüllende Schreibstunden in der finnischen Nationalbibliothek erleben werde.