Edith Gould fragt in ihrer Blogparade nach drei Büchern, die mein Leben auf den Kopf gestellt haben. Da sind mir sofort zwei eingefallen, beim Dritten musste ich überlegen und mir ist keins eingefallen. Bis ich festgestellt habe, dass es vier Bücher sind. Bei zweien ist das Leben-auf-den-Kopf stellen sogar noch in progress: Mein Leben wird gerade von zwei Büchern auf den Kopf gestellt.
Bücher sind meine Welt. Seit ich lesen kann. Als Kind und Jugendliche haben sie mir die Flucht aus der Realität ermöglicht. Im Studium habe ich aus ihnen gelernt und nachdem mein Lieblingsbuchhändler in einer Zeit, als ich nur Fach- und Sachbücher kaufte, zu mir sagte: „Liest du auch mal was schönes?“ Lese ich auch wieder zur Unterhaltung: Krimis natürlich und verschiedene andere Geschichten, die ich interessant finde oder die mir jemand empfiehlt.
Um am wichtigsten: diese vier Bücher machen mich zur Künstlerin.
Das Buch, das mich zur Künstlerin gemacht hat
Im Sommer 2002 war ich in Aufbruchstimmung. Ich hatte mein Studium abgeschlossen und das Lehramts-Referendaiat nach drei Monaten abgebrochen, weil ich die Enge des Schulsystems hasse. Ich hatte einen Job für ein Jahr als Köchin auf einem Seminarhof in Bayern angenommen, weil ich aus allem wegwollte. Und ich wollte Künstlerin werden. (Das aber nur ganz heimlich, das hätte ich mich nicht getraut, laut auszusprechen.)
In einem Esoterik-Laden in Kiel habe ich das Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron gefunden. Für mich ein Zeichen. Damals habe ich immer nach Zeichen gesucht, dass ich auf dem richtigen Weg bin und alles ganz leicht gehen würde, wenn ich nur endlich täte, was ich wollte: Bücher schreiben.
Also habe ich in Kiel meine Wohnung gekündigt, habe meine Sachen und das Buch in mein Auto gepackt und bin die A7 bis ans südliche Ende gefahren und in einer Realität aus Ausbeutung und viel zu viel Arbeit angekommen. Das Buch „Der Weg des Künstlers“ lag jedoch immer auf meinem Nachtschrank.
Und als ich ermutigt von einer Frau, die zu Gast auf dem Seminarhof war, ob der krassen Arbeitsbedingungen, der schlechten Bezahlung und der Geringschätzung des Chefs, gekündigt habe und wieder nach Kiel zurückgegangen bin, habe ich angefangen, Morgenseiten zu schreiben. Eine der grundlegenden Techniken von Julia Cameron.
Zunächst nur sporadisch. Dann öfter. Dann regelmäßig. Und ich habe begonnen, die Aufgaben in dem Buch zu machen. Auch das hat lange gedauert und ich bin noch einige Irrwege gegangen, weil ich Geld für meinen Lebensunterhalt verdienen musste. Und dabei meistens keine Kraft mehr hatte, um wirklich in dieses Buch einzutauchen.
Aber ich bin immer wieder zu dem Buch, zu den Morgenseiten, zu den Aufgaben und zum Künstlertreff (ein weiteres tolles Kreativwerkzeug von Julia Cameron) zurückgekehrt. Ein Kapitel des Buchs habe ich auf den Flügen und bei einem Aufenthalt in New York durchgearbeitet. Beim Durcharbeiten ist der Wunsch entstanden, drei Monate mit der Bahn durch Westeuropa zu reisen.
Das haben mein Mann und ich im Mai bis Juli 2014 gemacht. Mit zwei Handgepäck-Koffern sind wir in Kiel in die Bahn gestiegen und nach einer wunderbar intensiven Reise von Lissabon wieder zurückgeflogen. Auf dieser Reise habe ich das Buch komplett durchgearbeitet. Und das war wunderbar.
Die Morgenseiten schreibe ich immer noch. Ich habe sie zwischendurch an meine Bedürfnisse angepasst. Künstlertreffs mache ich nur noch sporadisch (letzte Woche habe ich eins gemacht und es war zauberschön) und möchte mir gerne wieder mehr Zeit dafür nehmen. Das Buch „Der Weg des Künstlers“ steht in meiner Handbibliothek auf der Fensterbank und macht mir ein gutes, warmes Gefühl. Manchmal nehme ich es in die Hand und bin einfach glücklich, dass ich den Weg gegangen bin. Denn heute sage ich ganz locker: Ich bin Künstlerin.
Das Buch, das mich zur veröffentlichten Krimiautorin gemacht hat
Den ersten Krimi, der ein Buch werden sollte, habe ich nicht fertig geschrieben und werde ihn auch nicht fertig schreiben. Das nächste Manuskript habe ich fertig geschrieben. Ein Psychothriller, der in Kiel und Dublin spielt. Das Manuskript überarbeite ich eventuell irgendwann, damit ich es veröffentlichen kann.
Den Krimi „Taval und die nackte Katze“ habe fertig geschrieben, überarbeitet, lektorieren lassen, quasi neu geschrieben, überarbeitet, lektorieren lassen, in einer Form überarbeitet, mit der ich sehr unglücklich war, nochmal umgeschrieben, lektorieren lassen, überarbeitet, Korrektur lesen lassen, Korrekturen eingearbeitet und am 31. Dezember 2017 als e-Book veröffentlicht. Im Sommer 2018 folgte dann das Printbuch. Und damit bin ich eine veröffentlichte Krimiautorin geworden.
In meinem Blogbeitrag „Warum ich schreibe. Personal Essay“ habe ich erzählt, dass ich meinen Krimi „Taval und die nackte Katze“ geschrieben habe, damit alles gut wird. Damit das Aufgeben einer vermeintlich sicheren Beamtenlaufbahn auch einen Sinn bekommt. Damit mein Dasein einen Sinn bekommt. Hat das funktioniert? Nein, natürlich nicht. Das ist ein viel zu großer Anspruch für ein kleines Buch.“
Und dennoch hat dieses Buch mich zur veröffentlichten Krimiautorin gemacht und das ist ein großer und toller Meilenstein in meinem Leben. Wir, das Buch und ich, haben schon viel zusammen erlebt, aber davon erzähle ich in dem Blogbeitrag „Wenn das Herz „ja“ sagt: Wohin mich mein Schreiben schon geführt hat„.
Das Buch, das mich liebevoll lehrt, meinen Weg als Künstlerin anzunehmen und zu ehren
Das Buch „We need your art“ von Amie McKnee habe ich in den letzten Monaten gelesen und mit ersten journaling prompts aus dem Buch gearbeitet. Es liegt auf meinem Schreibtisch und wenn ich es anschaue, fühle ich Wärme und Fülle. Ich fühle, dass dieses Buch mein Sein und meinen Weg als Künstlerin verändert und noch weiter verändern wird.
Manchmal bin ich ungeduldig, weil ich denke, ich müsste schneller schreiben und veröffentlichen. Dann lese ich im Kapitel „On patience“ und gehe meinen Weg geduldig und stetig weiter. Im Kapitel „On Success“ ermutigt Amie McKnee natürlich zur eigenen Definition von Erfolg. Und sie ermutigt mich, meinem Wunsch nach finanziellem Erfolg zu folgen. Und das alles mit einem liebevollen und zärtlichen Blick auf mich selber.
Im Café wurde ich heute mal wieder gefragt, ob man vom Schreiben leben könne. Ich habe reflexartig mit Nein geantwortet. Dann habe ich mich korrigiert und „noch nicht“ gesagt. Die Frage bekomme ich nicht mehr oft und sie stresst mich auch nur noch minimal. Aber die größte Veränderung ist, dass ich auch in einem Smalltalk-Gespräch im Café mit dem „noch nicht“ ausdrücke, dass ich das vorhabe.
Diese Veränderung verdanke ich dem Buch „We need yor art“. Dahinter steckt der Gedanke mich nicht naiv oder kindisch zu fühlen, wenn ich den Wunsch habe und auch daraufhin arbeite, vom Schreiben leben zu können und zu wollen. Denn es gibt Menschen, die sogar sehr gut vom Schreiben leben können.
Das Buch, das gerade meine Welt auf den Kopf stellt
Seit letztem Mai stellt Heather meine Welt auf den Kopf. Heather ist die Heldin des Buches, an dem ich gerade intensiv arbeite. Heather schliddert in eine schwere depressive Episode und beobachtet das Verschwinden einer Frau im Haus gegenüber. Heather ist überzeugt, dass die Frau ermordet wurde, und ermittelt in diesem Mordfall, den ihr keiner glaubt.
Aufgetaucht ist Heather schon im November 2019. Und im Mai 2024 wollte sie, dass ich ihre Geschichte weiter erzähle. Das Buch fordert mich heraus und verändert mich in Schüben. Es fordert mich heraus, weil ich tief aus meinem Inneren schreibe. Es fordert mich heraus, weil Heather ein schwere depressive Episode durchlebt, so wie ich Ende 2019/ Anfang 2020.
Die Geschichte ist fiktional. Aber die Gefühle, die Heather hat, sind meine gewesen. Mit Heather erzähle ich mir meinen Heilungsweg. Wir gehen zusammen nochmal in die Psychiatrie zurück. Und ich lerne, dass ich meine Erlebnisse dort nehmen und zur Geschichte passend verändern kann.
Jetzt denkst du vielleicht, genau das machen Schriftstellerinnen doch, was ist daran besonders? Besonders ist, dass ich die Zeit der Krankheit und der Genesung soweit verarbeitet habe, dass ich sie fiktionalisieren kann. Gleichzeitig hilft mir das Fiktionalisieren beim weiteren Verarbeiten und Heilen. Das Buch ist zu 3/4 fertig und ich arbeite intensiv daran weiter.
Zur Zeit suche ich eine Agentur für das Manuskript, denn ich will das Buch in einem Verlag veröffentlichen. Und auch damit stellt das Buch meine Welt auf dem Kopf. Ich schreibe nicht nur über eine psychische Krankheit, ein sehr persönliches Thema und ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, ich gehe damit auch in die Welt hinaus und will damit in einen Verlag.
Das ist spannend. Das ist herausfordernd. Manchmal macht es mir Angst. Oft begeistert es mich. Und auf jeden Fall stellt es meine Welt auf den Kopf.
Alle vier Bücher sind Wendepunkte auf meinem Weg als Künstlerin. Das erste hat mir gezeigt, dass ich eine bin. Das zweite, dass ich es kann. Das dritte, dass ich es darf. Und das vierte zeigt mir gerade, dass Kunst auch heilen kann.
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