Susanne Pohl
Krimiautorin
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Mein liebster Krimi: eine Liebeserklärung an Miss Marple und das Verbrechen nach 16 Uhr 50

Mein liebster Krimi: eine Liebeserklärung an Miss Marple und das Verbrechen nach 16 Uhr 50

14. Mai 2025|By:Susanne Pohl

Dies ist mein Beitrag zur Blogparade: Mein liebster Krimi, die ich am 6. Mai 2025 gestartet habe. Bis zum 22. Juni 2025 sammle ich darin unsere Lieblingskrimis, für eine gemeinsame Leseliste voller spannender Entdeckungen.

In meinem Blogbeitrag erzähle ich dir von meiner liebsten Ermittlerin Miss Marple und dem Krimi, der mich seit Jahrzehnten begleitet: 16 Uhr 50 ab Paddington. Ich habe ihn in mehreren Sprachen im Regal und bis heute lässt er mich nicht los.

Du hast auch einen Lieblingskrimi? Dann mach gern mit. Alle Infos zur Teilnahme findest du im Aufruf zur Blogparade.

Als Miss Marple in mein Leben trat

Ich war etwa zwölf, als ich in den Herbstferien meine Brieffreundin besucht habe. Eine ganze Woche lang. Und eines Abends saßen wir vor dem Fernseher: drei Mädchen auf dem Fußboden, ihre Eltern auf dem Sofa. Es lief ein Film in Schwarz-Weiß und auf dem Bildschirm eine ältere Dame mit Hut, Handtasche und jeder Menge Energie. Miss Marple.

Ich war sofort begeistert. Miss Marple war eine coole Frau. Exzentrisch, energisch, sehr aktiv, schrullig und mit einer Menge Komik. Ich konnte nicht mehr wegschauen und ich wollte unbedingt wissen, wie sie den Fall löst.

Der Film hieß 16 Uhr 50 ab Paddington mit Margaret Rutherford als Miss Marple. Und der hat sich bei mir eingebrannt. Nicht nur, weil es mein erster Miss-Marple-Film war, sondern weil ich zum ersten Mal das Gefühl hatte: Ich will wissen, wie so etwas funktioniert. Ich will auch Rätsel lösen.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Das war mein erster Film mit einer selbstbewussten Frauenfigur, die ein Vorbild sein konnte. Und das war in den frühen 1980ern alles andere als selbstverständlich.

Die Meisterin hinter Miss Marple

Was ich damals noch nicht wusste: Ich hatte gerade eine Figur der größten Krimiautorin aller Zeiten kennengelernt. Agatha Christie gilt nicht umsonst als „Queen of Crime“. Mit über zwei Milliarden verkauften Büchern ist sie die meistgelesene Autorin der Welt. Nach Shakespeare und der Bibel.

Natürlich sind ihre Bücher auch Kinder ihrer Zeit: koloniale Weltbilder, stereotype Figuren oder Frauenrollen spiegeln oft das Denken ihrer Entstehungszeit wider. In einigen Originalfassungen finden sich zudem rassistische oder antisemitische Begriffe und Darstellungen. Viele dieser Passagen wurden später überarbeitet oder gestrichen. Christie selbst erlaubte das bereits nach dem zweiten Weltkrieg für ihre US-Ausgaben.

Trotzdem bleibt ihre schriftstellerische Brillanz unbestritten. Christies Krimis sind fein konstruiert, psychologisch durchdacht und reich an überraschenden Wendungen. Sie schuf nicht nur Miss Marple, sondern auch Hercule Poirot und unzählige Einzelromane wie Und dann gabs keines mehr, der bis heute als meistverkaufter Kriminalroman der Welt gilt.

Was mich an Christie besonders fasziniert: Ihre Fälle sind komplex, aber fair. Alle Hinweise liegen offen, auch wenn wir sie oft erst im Rückblick erkennen. In 16 Uhr 50 ab Paddington zeigt sich diese Meisterschaft in Perfektion.

Ein Wiedersehen nach vielen Jahren

Viele Jahre später habe ich mir die DVD von 16 Uhr 50 ab Paddington gekauft. Seitdem habe ich sie fast so oft geschaut, wie ich früher meine ???-Hörspiel-Kassetten gehört habe. Na gut. Das war jetzt ein bisschen übertrieben. Aber ich habe den Film wirklich oft gesehen. Und trotzdem habe ich mich nie gefragt, warum mich gerade dieser Krimi so sehr fesselt. Bis zur Blogparade.

Die Indizien sprechen eine klare Sprache: Ich besitze die DVD. Ich habe das Taschenbuch auf Deutsch. Und seit letztem Herbst sogar eine Ausgabe auf Finnisch. Ja, wirklich! Ich war in Helsinki und wollte unbedingt einen Krimi für mein Bücherregal mitbringen. Obwohl ich erst wenig Finnisch kann, habe ich mich durch eine finnische Buchhandlung gestöbert und bin natürlich bei den Regalmetern mit Agatha-Christie-Krimis hängen geblieben. Bei Neiti Marple Mysteeri Paddingtonista 16.50 wusste ich sofort: Das Buch muss mit.

Film oder Buch oder beides?

Erstaunlicherweise habe ich das Buch erst vor etwa fünf Jahren zum ersten Mal gelesen, obwohl ich den Film unzählige Male gesehen hatte. Ich hatte einen Stapel Christie-Krimis von einer Nachbarin geschenkt bekommen. 16 Uhr 50 ab Paddington war auch dabei.

Zuerst wollte ich den Krimi gar nicht lesen, ich kannte die Geschichte ja. Aber dann siegte die Neugier. Und ich war überrascht: Im Buch ist es nicht Miss Marple, die den Mord im vorbeifahrenden Zug beobachtet, sondern ihre Freundin Mrs. McGillicuddy. Auch im Haus der Familie Crackenthorpe (im Film Ackenthorpe) ermittelt nicht Miss Marple, sondern Lucy Eyelesbarrow, als verdeckte Ermittlerin mit Kochlöffel.

Das war ungewohnt. Ich hatte etwas anderes erwartet und ich war sogar ein bisschen enttäuscht. Die Dramaturgie des Films hatte mir besser gefallen: Miss Marple ist dort nicht nur aktiver, sondern auch unterhaltsamer in Szene gesetzt. Der Roman wirkt da stellenweise fast ein wenig distanziert.

Und ich gebe zu: Ich habe mich gefragt, warum Christie ihrer bekanntesten Figur hier so wenig Raum gibt. Für mich als Miss-Marple-Fan fühlte sich das fast wie ein Versäumnis an. Die legendäre Ermittlerin im Hintergrund zu halten, während andere die Bühne betraten.

Dann habe ich verstanden, dass Agatha Christie mit Miss Marple ein gesellschaftliches Klischee bewusst nutzt und gleichzeitig unterläuft. Miss Marple ist das Paradebeispiel einer literarischen „Spinster“. Ein Begriff, der seit dem 18. Jahrhundert für ältere, unverheiratete Frauen steht und lange Zeit mit Vorurteilen und gesellschaftlicher Abwertung belegt war.

Christie dreht dieses Bild um: Ihre Miss Marple nutzt gerade ihre Unauffälligkeit, gesellschaftliche Unterschätzung und scheinbare Harmlosigkeit, um als Detektivin zu brillieren. Aus der alten Jungfer wird eine der klügsten Ermittlerinnen der Kriminalliteratur.  Dementsprechend war Agatha Christie mit der Darstellung durch Margaret Rutherford zunächst unzufrieden.

Vermisst habe ich im Buch Mr. Stringer, Miss Marples Begleiter. Diese Figur existiert nur im Film und wurde für Margaret Rutherford und ihren Ehemann geschaffen.

Aber als ich mich auf das Buch eingelassen habe, habe ich gemerkt: Auch das Buch ist großartig. Nur auf eine andere Weise. Christie lässt Miss Marple zwar im Hintergrund agieren, aber am Ende ist sie diejenige, die alles durchschaut und mit scharfen Verstand den Fall löst. Und das hat mir gefallen.

Was diesen Krimi für mich besonders macht

Obwohl ich die Auflösung des Falls längst kenne, wird mir die Geschichte nie langweilig. Der Einstieg ist ein Geniestreich: die  Mordbeobachtung aus einem fahrenden Zug heraus in einem anderen Zug. Nur ein kurzer Blick, eine flüchtige Szene, lederbehandschuhte Hände, die eine Frau erdrosseln. Und niemand glaubt der Zeugin. Die Situation erzeugt sofort Spannung und wirft unzählige Fragen auf.

Auch die Figuren liebe ich: Nicht nur Miss Marple, sondern – seit ich das Buch gelesen habe – auch Lucy, die klug, pragmatisch und mit trockenem Humor undercover ermittelt. Ich frage mich allerdings bis heute, warum Lucy Eylesbarrow in späteren Romanen nicht mehr auftaucht. Sie hätte das Potenzial zur eigenen Reihe gehabt. Eine moderne Heldin mit Witz, Verstand und Tatkraft. Vielleicht war ihre Unabhängigkeit für die damaligen Zeit zu fortschrittlich.

Und natürlich gefällt mir die Familie Crackenthorpe, ein Sammelsurium an Abgründen, Eigenheiten und Verdächtigen. Ich liebe Familienintrigen kombiniert mit britischer Exzentrik und Christies Art, ihre Figuren mit feinem Gespür für menschliche Abgründe und subtilen Humor zu zeichnen.

Und natürlich liebe ich es, Miss Marple beim Ermitteln in diesem wunderbaren Fall über die Schulter zu schauen.

Aus Sicht einer Krimiautorin

Was mich als Autorin besonders fasziniert, ist die Konstruktion des Rätsels: Christie schafft hier im Grunde einen „Locked-Room-Mystery“ in Bewegung. Der Mord geschieht in einem fahrenden Zug, wird aus einem anderen Zug beobachtet. Der Tatort existiert in dem Moment schon nicht mehr. Brillant!

Als Autorin spüre ich allerdings manchmal, dass die Präzision der Konstruktion zulasten der emotionalen Tiefe geht. Die Figuren sind spannend, aber oft bleiben sie symbolhaft, wie Bausteine in einem Rätsel. Gerade die männlichen Familienmitglieder der Crackenthorpes bleiben oft blass und dienen mehr als Verdächtige denn als echte Charaktere.

Meisterhaft hingegen ist der Umgang mit Hinweisen. Christie setzt sie tröpfchenweise ein, ganz nach dem Prinzip des „dripping of clues“. Viele davon erscheinen beim ersten Lesen nebensächlich und sind in scheinbar unbedeutenden Nebenbemerkungen versteckt. Während wir noch mit dem Familienzwist und dem Testament des alten Crackenthorpe beschäftigt sind, platziert Christie nebenbei die entscheidenden Hinweise zur wahren Identität des Opfers.

Und natürlich die falschen Fährten, die „red herrings“: etwa die dramatische Vergiftungsszene im Crackenthorpe-Haus. Sie sorgt nicht nur für zusätzliche Spannung, sondern führt uns und auch Miss Marple auf eine falsche Spur.

Die Auflösung folgt dann einem klassischen Prinzip: Der Täter ist der am wenigsten Verdächtige und trotzdem ergibt am Ende alles Sinn. Keine billige Überraschung, sondern eine psychologisch plausible Enthüllung. Das ist großes Krimi-Handwerk.

Manche Kritiker werfen Christie vor, ihre Auflösungen seien manchmal fast zu ordentlich, als würde am Ende jemand das Rätsel mit dem Staubwedel abwischen. Auch bei diesem Fall könnte man den Eindruck bekommen: Alles passt fast zu perfekt zusammen. Aber gerade diese saubere Konstruktion ist für mich Teil des Reizes. Es ist wie ein Uhrwerk, bei dem man am Ende versteht, wie jedes Rädchen ineinander greift.

Ein Krimi in vielen Sprachen, eine Liebe in vielen Facetten

Vielleicht liebe ich diesen Krimi auch so sehr, weil er mit vielen Erinnerungen verbunden ist: Kindheit, Brieffreundin, Fernsehfilm und neuerdings auch Helsinki. Vielleicht auch, weil ich ihn auf so viele Arten neu entdecken kann: im Film, im Buch, in einer anderen Sprache.

Oder weil ich mir manchmal vorstelle, Miss Marple zu treffen. Auf einen Tee (die Miss Marple aus dem Buch) oder einen Whisky (die aus dem Film mit Margaret Rutherford).

Klar ist: 16 Uhr 50 ab Paddington ist und bleibt mein liebster Krimi. Der Krimi bleibt für mich der Inbegriff des klassischen Whodunit und Miss Marple mein Vorbild für weibliche Klugheit und Unabhängigkeit. Egal ob laut oder leise.

Und als Nächstes steht eine aktualisierte englische Ausgabe von 4.50 from Paddington auf meiner Leseliste.

Diese Krimi-Liebe geht weiter.

Welcher Krimi hat dich nie mehr losgelassen? Mach mit bei meiner Blogparade: mein liebster Krimi.

15. Mai 2025 Susanne Pohl
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